Rechtsanwalt Christian Leupi beurteilt zusammen mit mir im Interview, welche rechtlichen Konsequenzen durch Negative SEO entstehen können. In Wesentlichen werden zwei Situationen analysiert. Erstens: Der Einsatz von Negative SEO, um ein unerwünschte Inhalte in den Suchergebnissen verschwinden zu lassen. Zweitens: Negative SEO gezielt gegen die Konkurrenz einsetzen.
Mitte Juni berichteten wir über ein Negative SEO Beispiel, welches gegen das Schweizer Fernsehen gerichtet war. Natürlich wurde mir die Frage gestellt, ob dieses Vorgehen überhaupt legal und welche rechtlichen Folgen eine solche Negative-SEO Attacke haben könnte. Da ich kein Jurist bin, habe ich die Situation mit Christian Leupi besprochen und dabei ist dieses Gespräch entstanden, in dem die rechtliche Situation von Negative SEO erörtert wird. Der Artikel ist in vier Bereiche gegliedert:
- Domains reservieren und untereinander verlinken, wie im SRF-Beispiel geschehen.
(Dies ist nicht Negative SEO) - Rechtliche Folgen bezüglich des SRF-Artikels, der mit Negative SEO «abgeschossen» wurde
- Juristische Folgen, wenn Mitbewerber einander mit Negative SEO angreifen.
- Abschlussfragen: Situation in Deutschland und „Was kann man dagegen tun?“
Daniel: Christian, stell dich bitte kurz vor.
Christian: Ich bin Rechtsanwalt und Mitinhaber der Grossenbacher Rechtsanwälte AG, Luzern und betreue in unserer Kanzlei insbesondere den Bereich IT/ICT-Recht. Nach dem Jus-Studium und dem Anwaltspatent absolvierte ich ein Nachdiplomstudium in Wirtschaftsinformatik, woher eine gewisse Affinität zu IT-rechtlichen Fragestellungen herrührt. Das relativ junge Phänomen von „Negative-SEO“ und deine Anfrage haben denn auch gleich mein Interesse geweckt, diese Problematik in juristischer Hinsicht etwas näher anzuschauen.
Daniel: Der Negative-SEO-Artikel gliedert sich in zwei Bereiche. Im ersten Teil geht es darum, diverse Domains zu registrieren und diese untereinander zu verlinken, um ein unerwünschtes Ergebnis in Googles Suchergebnissen nach hinten zu verdrängen. (Anm.: Bei diesem Punkt handelt es sich nicht um Negative-SEO). Gibt es hier ein rechtliches Problem?
Christian: In diesem Falle sehe ich eher kein rechtliches Problem. Die eigenen Webseiten mittels geschickter Nutzung der Kriterien, nach welchen Google Webseiten «rankt», nach vorne zu bringen, um negative Kritik „nach hinten“ zu verschieben, sehe ich weitgehend unproblematisch, vorausgesetzt natürlich, ich verhalte mich nicht unlauter oder rechtswidrig, in dem ich z.B. fremde Leistungen ausnutze oder fremde Marken verwende.
Daniel: Ich dachte schon, es gehe in die Richtung. 😉 Und jetzt zum zweiten Teil, bei dem der negative Bericht des Schweizer Fernsehens mit spammigen Links regelrecht „abgeschossen“ wurde. Wie beurteilst Du diese Situation?
Christian: In diesem Falle wird nicht das eigene Angebot positiv sondern aktiv eine „fremde Internetseite“ negativ beeinflusst. Wenn ein Dritter z.B. bewusst Links mit pornografischem Inhalt oder solchen Linktexten setzt, um eine Seite im Google-Ranking negativ zu beeinflussen, könnte man eine Persönlichkeitsverletzung in Betracht ziehen, da hier eine Person resp. ein Unternehmen mit vermutlich unerwünschten Themen in Verbindung gebracht wird. In unserem Beispiel hat der SRF-Artikel vom Inhalt her gar nichts mit dem Thema Pornografie zu tun. Weiter könnte man eine Verletzung des UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) prüfen, da das erwähnte Vorgehen zu einer Beeinträchtigung des guten Rufs führen kann. Der Bereich UWG wäre in diesem Fall aber eher als sekundär zu betrachten, da keine eigentliche Mitbewerber-Konstellation vorliegt.
Daniel: Was kann das Schweizer Fernsehen dagegen tun?
Christian: Die Erfolgsaussichten wären im konkreten Fall wohl eher gering. Aus Sicht des Schweizer Fernsehens käme – sofern das Link-Spamming weiter andauert – am ehesten eine Unterlassungsklage in Frage, d.h. das rechtswidrige Verhalten gerichtlich verbieten zu lassen.
Daniel: Kann das Schweizer Fernsehen Schadenersatz verlangen?
Christian: Sofern wir eine Persönlichkeitsverletzung bzw. eine UWG-Verletzung annehmen, theoretisch ja. Aber in diesem konkreten Fall sehe ich keine Schadensposition, die entstanden ist, ausser allenfalls die Kosten für das «Wiederherstellen» der ursprünglichen Hierarchie der Suchtreffer. Allerdings sehe ich darin kein kommerzielles Interesse des Schweizer Fernsehens. Anders könnte dies natürlich aussehen, wenn beispielsweise ein Online-Shop die Google-Rankings eines Konkurrenten durch Negative-SEO beinflussen würde und dieser durch den Ranking-Verlust Umsatzeinbussen erleidet.
Daniel: Guter Punkt, gehen wir doch gleich auf das Thema ein, wenn konkurrierende Unternehmen sich gegenseitig mit Negative SEO abzuschiessen versuchen? Beispiel: Schuhshop 1 schiesst Schuhshop 2 ab mit allen wichtigen Suchbegriffen zum Thema, also „Schuhe“, „Schuhe Online“, usw.
Christian: Wie im obigen Falle könnte eine Persönlichkeitsverletzung geltend gemacht werden, wenn die «Natur» der gesetzten Links bereits eine unnötige Herabsetzung des Schuhshops beinhalten (z.B. Links in den Bereichen Pornographie, illegales Glücksspiel, Medikamentenfälschungen etc.).
In diesem Fall stünde aber meines Erachtens eine Verletzung des UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) im Vordergrund, da es sich hier um ein wirtschaftliches Konkurrenzverhältnis handelt. Nebst der bereits erwähnten Beeinträchtigung des Rufs könnte weiter argumentiert werden, ein Konkurrent werde bewusst daran gehindert, Werbung zu betreiben. In der «realen» Welt könnte man dies allenfalls mit einer Situation vergleichen, in welcher der Konkurrent Printplakate überklebt oder zerstört.
Daniel: Wie kann man rechtlich dagegen vorgehen, wenn man von einer Negative SEO Attacke betroffen ist?
Christian: Man kann einerseits eine bestehende Verletzung verbieten lassen oder – sofern die Attacke vorbei ist – feststellen lassen, dass sich eine widerrechtliche Verletzung weiter störend auswirkt. Zudem kann man verlangen, dass das gerichtliche Urteil z.B. in den Medien veröffentlicht werden soll.
In finanzieller Hinsicht könnte der Geschädigte Schadenersatz verlangen (z.B. die Kosten für die Beseitigung der Folgen der Attacke) oder auf Herausgabe des Gewinns klagen, welchen der Konkurrent dank seinem rechtswidrigen Verhalten erzielt hat. In Fällen schwerwiegender Beeinträchtigung wäre auch möglich, dass das Gericht eine Genugtuung zuspricht.
Daniel: In der Regel bemerkt man eine Attacke erst, wenn es schon zu spät ist. Lassen sich hier Schadenersatzforderungen ableiten?
Christian: Ja, wie bereits erwähnt kann man grundsätzlich Schadenersatz sowie die Herausgabe des Gewinns verlangen. Das grundlegende Problem hier ist aber vermutlich die Rechtsverletzung und den Schaden bzw. den vom Konkurrenten erzielten Gewinn zu beweisen.
Zuerst müsste man beweisen und das Gericht davon überzeugen, dass eine Negative SEO-Attacke eine Rechtsverletzung, also eine Persönlichkeitsverletzung oder einen UWG-Verstoss darstellt. Man muss natürlich auch beweisen können, wer hinter der Negative SEO-Attacke steht oder wer diese in Auftrag gegeben hat. Weiter müsste man wohl nachweisen können, dass diese Attacke der Grund für den Ranking-Verlust bei Google ist, dass also ein kausaler Zusammenhang besteht. Drittens wäre der erlittene Schaden zu beweisen. Man müsste also darlegen, welche Umsatzverlust bzw. welche Gewinneinbusse durch die beeinträchtigten Rankings genau entstanden ist.
Daniel: Das Beweisen des Umsatzverlustes wäre möglich. Zu beweisen, wer hinter der Attacke steht, ist fast unmöglich. Da in der Regel mit Forum-Links, Blog-Kommentaren und ähnlich vorgegangen wird, kann man die Urheber der Links kaum ausfindig machen. Man muss die „negativen Links“ eruieren, die jeweiligen Webseitenbetreiber kontaktieren, bitten die IP Adresse des „Linkerstellers“ zu geben, dann wieder herausfinden, wer dahinter steckt, was Provider ohne gerichtliche Anordnung kaum tun werden usw. Am Ende landet man vermutlich bei einer ausführenden Person aus dem asiatischen Raum, der über Auftraggeber vermutlich nicht mehr weiss, als ein Username auf einer einschlägigen Plattform. Sprich: Sehr aufwändig und mit einem vernünftigen Budget beinahe unmöglich. Kaum Erfolgsaussichten.
Daniel: Was sind die rechtlichen Konsequenzen, wenn es tatsächlich gelänge, eine Attacke eines Konkurrenten zu beweisen?
Christian: Wie bereits erwähnt, könnte ein Gericht dem Konkurrenten unter Androhung von Strafe untersagen, solche Attacken zu begehen bzw. feststellen, dass eine rechtswidrige Attacke stattgefunden hat. Weiter könnte auf Antrag des Geschädigten das Urteil in den Medien veröffentlicht werden.
In finanzieller Hinsicht könnte der Konkurrent z.B. die Kosten für die Beseitigung der Folgen der Attacke übernehmen oder den rechtswidrig erzielten Gewinn herausgeben müssen. In schwerwiegenden Fällen könnte der Konkurrent zu einer Genugtuungszahlung verpflichtet werden. Dabei ist zu beachten, dass der Konkurrent sich diesen rechtlichen und finanziellen Konsequenzen auch aussetzt, sofern er einen Dritten mit einer solchen Attacke beauftragt und diese nicht selbst umsetzt.
Negative SEO könnte für den Täter unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, sowohl im Bereich UWG als auch im Bereich Persönlichkeitsverletzung. Die Hürden für eine strafbare Persönlichkeitsverletzung (sog. Ehrverletzungstatbestände) sind jedoch höher als im Zivilrecht. Eine strafbare UWG-Verletzung setzt zudem ein vorsätzliches Handeln voraus.
Daniel: Was sind konkret mögliche strafrechtliche Konsequenzen?
Christian: Die verschiedenen Ehrverletzungsdelikte werden mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren bestraft. Das UWG sieht für strafbare Verletzungshandlungen die gleiche Strafandrohung vor. Allerdings dürften Täter wohl in den meisten Fällen mit einer aufgeschobenen (sog. «bedingten») Geldstrafe sowie einer Busse davon kommen.
Dani: Hmmm. Wenn ich das richtig interpretiere heisst dies: Wenn ich Negative-SEO betreibe und mich nicht komplett dumm anstelle (mich nicht erwischen lasse), muss ich kaum Konsequenzen fürchten. Und wenn ich doch erwischt werde, sind die rechtlichen Konsequenzen eher marginal.
Christian: Das ist wohl tatsächlich faktisch so. Bei Negative SEO ist die Beweislage ein grosses Problem, insbesondere da das Google-Ranking auch heute noch in einigen Details eine «Blackbox» darstellt und jedes Update der Suchmaschine auch unvorhergesehene Einflüsse haben kann.
Fällt man z.B. von Platz 1 auf Platz 4 oder 5 mit einigen wichtigen Keywords zurück, könnte dies auch andere Ursachen haben als Negative SEO. Man kann kaum zu 100% nachweisen, was wirklich die Ursache von Ranking-Veränderungen ist, vor allem wenn durch negative SEO nur kleine Schwankungen entstehen. Wenn man monatelang mit „Schuhe“ auf Platz 1 war und plötzlich auf Platz 100 herunterfällt, sähe es eventuell etwas anders aus. Den Täter zu ermitteln bleibt, wie Du schon erwähnt hast, schwierig.
Zu berücksichtigen bleibt allerdings auch das Risiko eines Reputationsverlusts für den Täter. Selbst wenn schliesslich keine rechtlichen Konsequenzen resultieren, kann ein solches Vorgehen, sollte es publik werden, durchaus zu negativer Presse führen und sich damit für den Täter als Bumerang erweisen.
Daniel: Ist die Situation in Deutschland anders als in der Schweiz?
Christian: Als Schweizer Anwalt möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, was die Rechtslage in Deutschland angeht. Die Situation dürfte aber ähnlich wie in der Schweiz sein. Es gibt auch in Deutschland ein UWG, welches z.B. herabsetzende Aussagen und die gezielte Behinderung eines Mitbewerbers sanktioniert. Die Probleme sind die gleichen wie in der Schweiz. Die Beweisführung wird genauso schwer sein.
Daniel: Siehst Du sonst noch Möglichkeiten, wie man dagegen vorgehen kann?
Christian: Da es auf dem Rechtsweg realistischerweise nur geringe Erfolgsaussichten gibt, steht aus meiner Sicht klar im Vordergrund, präventive Massnahmen zu treffen, um gegen solche Attacken gewappnet zu sein und diese frühzeitig feststellen zu können. Ich bin zwar SEO-mässig ein Laie, meiner Meinung nach sind aber die Erfolgsaussichten höher, einen SEO-Spezialisten beizuziehen, der sich dem Problem annimmt, als den Gerichtsweg einzuschlagen. Zu hoffen ist, dass Google bessere Systeme entwickelt, um solche Vorgehensweisen zu verunmöglichen. Ein erster Schritt ist bereits gemacht, in dem der Webmaster neu unerwünschte Links auf die eigenen Webseiten bei Google entwerten lassen kann (Anm. Daniel: Disavow Tool).
Nachtrag: die rechtliche Situation betreffend Negative-SEO in Deutschland wird hier in einen Gastbeitrag auf dem Blog der AKM3 GmbH bestens geschildert.
Daniel: Besten Dank für deine Erläuterungen, Christian.
Schlussfazit zu den rechtlichen Folgen von Negative SEO
Ehrlich gesagt, mein Fazit fällt ziemlich ernüchternd aus. Kleine Webseitenbetreiber haben kaum Chancen, sich vor Negative SEO Attacken zu schützen, weder technisch noch auf rechtlichem Wege. Brands werden von Google geschützt, jedenfalls habe ich noch kein Beispiel gesehen, wo starke Webseiten in wichtigen Bereichen komplett abgeschossen wurden. Ein Tipp, den man oft hört: „Baut euch einen Brand auf!“. Mit diesem Hinweis bin ich nicht einverstanden, wenn es um negative-SEO geht. Negative-SEO sollte kein Grund sein, dass kleine oder mittlere Firmen Zeit und/oder Geld in die Hand nehmen müssen, um eine Marke aufzubauen. Dafür gibt es genügend andere Gründe.
Gerade kleinen Firmen (lokale Handwerker, Finanzberater und ähnlich) kommt es ressourcentechnisch gar nicht in Frage, sich im grossen Stil eine Marke aufzubauen, nur um sich vor negative SEO zu schützen. Meist sind dies keine richtigen „Onliner“ sondern Dienstleister, die eine Webseite (meist ohne profunde SEO-Kenntnisse) betreiben und damit gefunden werden möchten. Gerade diese gilt es meiner Meinung nach besser zu schützen. Und derzeit ist Google der einzige Player, der diesbezüglich etwas unternehmen könnte. Bleibt (wieder einmal) nur zu hoffen, dass Google hier Fortschritte erzielt.